Risiken haben im Gegensatz zu Chancen einen wesentlichen „Vorteil“ in der Gedankenwelt der Agierenden: Risiken bedrohen etwas bereits Vorhandenes. Das Vorhandene ist zum einen konkret und es wird zum anderen zumeist wertgeschätzt. Risiken, die Irrelevantes bedrohen, werden nicht als Risiken wahrgenommen. Also gilt es vor allem, das Geschätzte, Gewohnte und Bewährte gegen Verlust abzusichern: Die Folge daraus ist das klassische Risikomanagement.
Bei Chancen dagegen gibt es nur Vorstellungen: Sie sind (noch) nicht konkret und sie können daher auch (noch) nicht wertgeschätzt werden, weil das vielleicht mögliche Ergebnis (noch) nicht vorhanden ist. Es ist vorher nicht vorhanden und nach der verpassten Chance, die zumeist noch nicht einmal wahrgenommen wird, ist es auch nicht vorhanden. Es hat sich sozusagen nicht viel verändert. Die Folge: Risiken zu managen ist Pflicht. Chancen zu managen ist eine Art Kür.
In Organisationen wird oft so getan, als bräuchte man keine Chancen. Vielleicht nicht bewusst, aber unbewusst. Eine Chance nutzen zu wollen bedeutet zunächst, dass sie erkannt werden muss. Chancen drängen sich in der Regel nicht auf; sie eröffnen sich denjenigen, die sie erkennen. Doch wer ist das in Unternehmen? In Managementsystemen sind dafür meistens keine Systematiken vorhanden. Im Gegensatz zum Umgang mit Risiken. Dort haben wir berühmte Instrumente wie zum Beispiel die FMEA mit einer maximal objektivierten Risikoprioritätszahl. Wo ist demnach die Chancenprioritätszahl?
Dass unter „Risiko“ definitorisch auch „Chancen“ mitgemeint sind, soll hier nur am Rande erwähnt werden. Denn entscheidend ist das Verständnis von Risiko im Alltag. Dort wird niemand von Risiken sprechen, wenn Chancen gemeint sind. Trotzdem müssen wir uns vor Augen halten, dass Chancen nutzen zu wollen auch immer bedeutet, dass genau das am Ende vielleicht nicht geklappt hat. Eine Chance ist was sie ist: eine Chance. Im Umfeld von Ungewissheit. Es kann gut gehen. Muss aber nicht.
Chancen frühzeitig als Chance zu erkennen ist vom unternehmerischen Grundsatz her gesehen Pflicht. Zum einen, weil es für die eigene Organisation gefährlich ist, wenn Wettbewerber Chancen erkennen und nutzen – und man selbst nicht. Zum anderen ist es gefährlich, weil sich nicht nur der Wettbewerber, sondern der gesamte Markt wegentwickeln kann: Dann ist wohl aus einer potenziellen Chance ein eingetretenes Risiko geworden. Beispiele aus der Wirtschaftsgeschichte gibt es genug. Was ist also zu tun? Wir brauchen den Fokus auf die Chance, Chancen zu erkennen.
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