In unserem Blogartikel von Oktober 2020 haben wir über die Diskussionen um ein potenzielles Lieferkettengesetz berichtet – und außerdem aufgezeigt, was es für deutsche Unternehmen bedeutet, wenn der Anspruch an eine faire, globale Produktion zum Gesetz werden sollte. Was vor vier Monaten noch hypothetisch war, ist Mitte Februar einen Schritt weiter in Richtung Realität gerückt. Zumindest in entschärfter Form.

Das sieht der Gesetzesentwurf vor

Nach langen Diskussionen kam es in Sachen Lieferkettengesetz zu einer Einigung zwischen den Ressorts von Entwicklungsminister Gerd Müller (CSU), Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) und Wirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU). Geplant ist, den Gesetzesentwurf Mitte März im Kabinett zu beschließen und noch vor der Bundestagswahl im September 2021 zu verabschieden.

Im derzeitigen Entwurf sind diese Eckpunkte festgehalten:

  • Das Inkrafttreten folgt einem Stufenplan
    Zum 1. Januar 2023 tritt das Gesetz für deutsche Großbetriebe mit mindestens 3000 Mitarbeitenden in Kraft. Ab 2024 gilt es dann auch für Unternehmen mit einer Betriebsgröße ab 1000 Mitarbeitenden. Für eine Entscheidung zur weiteren Ausdehnung des Gesetzes ist zu späterem Zeitpunkt eine Evaluation angedacht.
  • Unternehmen haften für direkte Zulieferer
    Verantwortlich sind deutsche Unternehmen im Sinne der Sorgfaltspflicht für ihr eigenes Unternehmen und die direkten, unmittelbaren Zulieferer. Probleme bei mittelbaren Zulieferern in der vorgelagerten Lieferkette sind immer dann relevant, wenn ein Unternehmen über einen Verstoß in Kenntnis gesetzt wird, beispielsweise über eine Beschwerde eines Mitarbeitenden im Ausland.
  • Bei Verstößen werden Bußgelder verhängt
    Kommen Unternehmen ihrer Sorgfaltspflicht nicht nach, ist keine zivilrechtliche Haftung vorgesehen – stattdessen drohen Bußgelder. Diese zu verhängen, obliegt dem Bundesamt für Ausfuhrkontrolle. Die Höhe der Bußgelder steht zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht fest. Unternehmen können außerdem bis zu drei Jahre nach ihrem Verstoß von öffentlichen Ausschreibungen ausgenommen werden.
  • NGOs und Gewerkschaften können im Namen Betroffener klagen
    Kommt es zu Verstößen gegen Standards in den Lieferketten, erhalten Nichtregierungsorganisationen (NGO) und Gewerkschaften das Recht, einzugreifen. Sie können Betroffene dann vor deutschen Gerichten vertreten und bei Zustimmung in deren Namen klagen.

Das Pressestatement von Arbeitsminister Hubertus Heil zum Thema Lieferkettengesetz finden Sie auf der Website des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales.

Lieferkettengesetz in der Kritik: Die zwei Lager bleiben bestehen

Schon in den anfänglichen Diskussionen um das Lieferkettengesetz bildeten sich zwei Lager heraus: Auf der einen Seite forderten Initiativen und NGOs ein für kleine und große Unternehmen gültiges Gesetz mit zivilrechtlicher Haftung als Buße und der Verantwortung entlang der gesamten vorgelagerten Lieferkette. Auf der anderen Seite standen Unternehmensverbände, die sich gegen zu hohen bürokratischen Aufwand durch das Gesetz aussprachen und Wettbewerbsnachteile für Deutschland fürchteten.

Diese verschiedenen Lager beeinflussten auch die Diskussionen der Politiker maßgeblich. In einigen umstrittenen Punkten konnte sich Peter Altmaier gegen die Kollegen Müller und Heil durchsetzen – was nun zu einer „Kompromissformel“ führte. Verfolgt man die Berichterstattung in den Medien, merkt man schnell, dass keines der beiden Lager vollkommen zufrieden ist: Dem einen sind die Beschlüsse lange nicht radikal genug, dem anderen längst zu radikal. Einige der Kritikpunkte werden in einem Artikel der WirtschaftsWoche aufgegriffen. Entwicklungsminister Gerd Müller hat sich in einem Interview mit Deutschlandfunk der Kritik an dem aktuellen Gesetzesentwurf gestellt.

EU-Kommission plant europaweites Lieferkettengesetz

Mit seinem konkreten Gesetzesentwurf ist Deutschland nun das erste Land in der EU, das ein Lieferkettengesetz auf den Weg bringt. Das Qualitätsversprechen „Made in Germany“ könnte damit zukünftig nicht mehr allein für technische Produktqualität stehen, sondern darüber hinaus auch für faire Löhne, Arbeitssicherheit und umweltschonende Verfahren. Auch die EU-Kommission plant, noch im ersten Halbjahr 2021 einen Entwurf für ein europäisches Lieferkettengesetz vorzulegen. Während deutsche Politiker sich in einer Vorreiter-Rolle sehen, kritisieren Unternehmen die nationalen Sonderwege. Wie der Bundesverband der deutschen Industrie in seinem Artikel zum Thema aufzeigt, könnten die Sorgfaltspflichten im Gesetzesvorschlag der EU-Kommission enger gesehen werden als im deutschen Entwurf – auch die zivilrechtliche Haftung wird auf EU-Ebene noch diskutiert.

Die Rolle der Konsumenten

Die Politik macht mit dem Lieferkettengesetz den ersten Schritt in Richtung einer globalen Verantwortung – doch auch die Verbraucher haben laut der Politiker einen wesentlichen Anteil daran, faire Produktionsbedingungen zu unterstützen. So fiel in den Artikeln zum Thema immer wieder der zitierte Aufruf Gerd Müllers, auf faire Produkte zu achten. Zeitgleich merkte er an, dass das Lieferkettengesetz die Verbraucherpreise nicht stark in die Höhe treibe, da der Anteil der Lohnkosten am Endpreis gering sei.

Noch Chance, ab 2023 Pflicht

Viele Unternehmen haben schon in der Vergangenheit erkannt, dass die Sorgfalt in Bezug auf Menschenrechte und Umweltschutz viele Konsument:innen überzeugt – denn nachhaltiges Denken verankert sich zunehmend in unserer Gesellschaft. Liefernetze nach sozialen und ökologischen Standards auszurichten, ist daher für viele Unternehmen längst eine Selbstverständlichkeit. Diese von vielen bereits ergriffene Chance wird durch das Lieferkettengesetz ab 2023 dann stufenweise zur Pflicht. Was genau sich dann für Unternehmen ändert, haben wir in unserem ersten Blogartikel zum Thema bereits aufgezeigt. Lösungen, um den Anforderungen des Lieferkettengesetzes nachweislich gerecht zu werden, finden sich im Bereich des Qualitätsmanagements schon heute.

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