Bis Autos zu fliegen beginnen und der Fahrer das Fahren komplett einstellt, wird wohl noch einige Zeit ins Land gehen. Trotzdem sind die Entwicklungen der Automobilbranche rasant. Wir haben Experten unterschiedlicher Bereiche gefragt, wie sie sich die nächsten zehn Jahre vorstellen. Baustellen gibt es viele.

„Unsere Qualitätsarbeit muss agiler werden."

Autonomes und automatisiertes Fahren, Elektromobilität und Big Data – all diese Entwicklungen bringen steigende Anforderungen und einen Zuwachs an Komplexität mit sich. In diesem Sinne muss sich auch unsere Qualitätsarbeit anpassen: Sie muss agiler werden!

Frühwarnsysteme, die schnelle und transparente Fehleranalyse sowie der kontrollierte Änderungsprozess müssen stark beschleunigt werden. Von der Erkennung bis zur permanenten Abstellung von Fehlern vergeht heute noch viel zu viel Zeit. Auch das Zusammenwirken von Mechanik, Elektronik und Software führt zu neuen Herausforderungen, denen mit komplexen Analysetools begegnet werden muss. So müssen riesige Datenmengen nicht nur erzeugt werden, sondern auch beherrschbar sein. Intelligente Softwaresysteme werden Daten künftig immer besser vernetzen müssen, um Fehlerbilder frühzeitig sichtbar zu machen. Abschließend müssen aber auch die komplexen Anforderungen selbst hinreichend hinterfragt und gezielter verifiziert werden. Ein stringentes Anforderungsmanagement ist der Schlüssel für ein sicheres und robustes Entwicklungsergebnis.

Thomas Buda, Vice President Chassis Technology Head of Quality, ZF Friedrichshafen AG, Lemförde

„Auf die Schnittstellen kommt es an.“

Die eigentliche Hauptfunktion des Autos, die Fortbewegung, wird im­mer mehr in den Hintergrund geraten. Kaufentscheidend wird viel mehr sein, was das Fahrzeug an Zusatzfunktio­nen bietet. Das Autofahren an sich, die Motorenleistung, Beschleunigung usw. wird 2027 keine Rolle mehr spielen. Die größte Herausforderung ist das Schnitt­stellenmanagement und Fragen wie: Kann ich das, was ich zuhause mache, im Auto weiterführen? Kann ich da fernsehen? Kann ich mich auf Facebook einloggen? Und kann ich die Musik, die ich auf meinem Smartphone habe, auch im Auto hören? Durchsetzen wird sich der, der darauf Antworten hat und die besten Schnittstellen liefert. Dabei geht es nicht nur darum, die Dienste ins Auto zu bringen. Auch der Supportfall muss abgesichert sein: Wenn ich mein Abo für einen Musikstreaming-Dienst im Auto abgeschlossen habe, wen rufe ich dann an, wenn es zuhause nicht mehr funk­tioniert? Ich bin mir sicher, die meisten würden sich an den Autohersteller wen­den. Deshalb muss es auch für diese Schnittstelle eine Lösung geben.

Prof. Dr.-Ing. Robert Dust, Stiftungsprofessor des Verbandes der Automobilindustrie (VDA), Technische Universität Berlin

„Die etablierten Hersteller müssen sich endlich digitalisieren.“

Bereits heute finden an mehreren Schauplätzen Verteilungskämpfe statt – nicht nur innerhalb der klassischen Autoindustrie, sondern auch mit Industriefremden. Im Online-Autovertrieb geht Amazon ins Rennen, bei der Nutzung des Autos als vernetztes Endgerät sind Apple und Google am Start. So treffen die etablierten Hersteller (Qualität und Sicherheit gehen vor) auf Start-ups aus dem Silicon Valley (agil und „can do“). Das Bemühen der deutschen Auto­manager um die digitale Lernkurve ist dringend notwendig, um neue Tätig­keitsfelder zu erschließen, vor allem aber um ihr etabliertes Geschäftsmo­dell zu verteidigen. Im Zentrum steht nicht mehr das Auto, sondern ein positives, effizientes und ökologisches Mobilitätserlebnis. Wenn die etablier­ten Hersteller in dieser veränderten Industriestruktur ihre Führungsposition behaupten wollen, müssen sie sich digi­talisieren, Partnerschaften mit digitalen Unternehmen eingehen, agiler werden und ihre Kunden besser verstehen. Sie werden sich grundlegend wandeln müssen, um in der neuen Welt erfolg­reich zu sein. Bis heute fehlt es vielen an digitaler Expertise, um den neuen, dynamischen Herausforderern, die Soft­ware als das neue Benzin definieren, Paroli bieten zu können.

Dr. Juergen Reiner, Partner der globalen Automotive und Manufacturing Practice, Oliver Wyman, München

„Wer übrig bleibt, bestimmt die gelebte Innovationskraft.“

Die kommenden zehn Jahre brin­gen der Autoindustrie einen themati­schen Umbruch innerhalb gewohnter industrieller Strukturen. Wer von den angestammten OEMs übrig bleibt, bestimmt die gelebte Innovationskraft. Wer zu lange auf das Ausschlachten erprobter Technologien setzt, wird vom Markt verschwinden. Die Mobilität des Menschen wird sich grundlegend wandeln. Mit dem Einzug von Industrie 4.0 werden viele Jobs wegfallen, die anderweitig ersetzt werden müssen. Old Economy wird das nicht sein, daher wird sich auch das Mobilitätsprofil der Bevölkerung spürbar ändern. Der Indi­vidualverkehr wird vom Berufsverkehr zum Freizeitverkehr mutieren. Denn verzichten werden die Menschen auf ihre gewohnte Mobilität kaum. Das Auto 2027 wird im Durchschnitt kleiner sein, eher elektrisch und weniger Menschen als heute werden selber eines besitzen, weil es mehr davon spontan verfügbar geben wird – eben für den momentanen Zweck. Dorthin muss sich entwickeln, wer dann noch Global Player sein will.

Peter R. Nestler, Chefredakteur, Q1 – Magazin für Integrierte Managementsysteme, Wien

„Je schneller der Rechtsrahmen steht, desto schneller wird HAD zum Seriengeschäft.“

Highly Automated Driving (HAD) ist schon heute eines der zentralen The­men. Fragen nach Zuverlässigkeit, Ver­sicherungslösungen und Haftung von Fahrzeughaltern, Herstellern und Be­treibern bestimmen die aktuelle Diskus­sion. Die Zulieferindustrie betrifft dies nur am Rande, doch je schneller der Rechtsrahmen steht, desto schneller wird HAD zum Seriengeschäft und auch die Zulieferindustrie wird davon profi­tieren. Im Fokus stehen die Herausfor­derungen aus der immens ansteigenden Konnektivität der Fahrzeuge unterein­ander, mit der umgebenden Infrastruk­tur und dem Menschen im Kontakt mit dem Fahrzeug. Datenschutz ist die naheliegendste und derzeit aktuellste Herausforderung. Aus haftungsrecht­licher Sicht wird die Integration von Security neben Safety die größte Hürde in der insoweit bislang wenig geforder­ten Zulieferindustrie werden. Bereits in der Entwicklung wird eine Betrachtung des Einsatzgebiets Konnektivität unter Security-Gesichtspunkten für jedes Produkt zum Standard werden; eben­so werden die daraus erwachsenden Risiken und die Schnittstellen zu den anderen angeschlossenen Services im Verantwortungsbereich der Zulieferer liegen. Die Systematiken hierfür und das entsprechende Know-how gilt es möglichst zeitnah aufzubauen. Soft­ware und entsprechend unterstützende Systeme werden mittelfristig unabding­bar werden.

RA Daniel Wuhrmann, Reusch Rechtsanwälte, Berlin

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