Wenn ich so höre und sehe, wie häufig Nachlässigkeit, Laisser-Faire-Haltung und falsche Prioritäten Fehler, Nichtqualität und Verschwendung verursachen, dann überlege ich, wie es um die Qualitätskultur in manchen Organisationen bestellt ist. Qualitätskultur, Unternehmenskultur, Führungskultur, Fehlerkultur – oft sprechen wir darüber, selten erfahre ich dabei Konkretes, Greifbares. Gerade dort, wo wir das Fehlen von Kultur beklagen, können wir selten sagen, wie und auf welchem Wege wir sie erreichen, ausbauen und verbessern. Sie ist irgendwie nicht zu fassen, die Unternehmenskultur.

Steht doch alles im Leitbild

Leitbilder begegnen mir oft. Wenn sie noch frisch sind, erfahre ich auch vom Leitbildprozess. Schön war er, der Leitbildprozess. Jochen Muskalla sagte zu Leitbildern so trefflich „da listen die Unternehmen auf, was sie am meisten vermissen“. Ich habe mir, ob im Rahmen von Assessments oder zu anderen Anlässen, wenn das Leitbild Gegenstand der Analyse oder Diskussion war, eine Frage zurechtgelegt, die mir den besten Eindruck verschafft hat, wir wirksam ein Leitbild ist. „Was war denn nach der Veröffentlichung des Leitbildes anders als vorher?“. Das Antwortspektrum bewegt sich weitestgehend zwischen Unverständnis und Hilflosigkeit, selten kommt eine klare, aussagekräftige Antwort. „Na ja, wir haben jetzt ein schönes Leitbild, besser, als das alte. Sie finden es im Internet, Intranet, in der Mitarbeiterzeitung und wir haben es auf Poster gedruckt.“ Veröffentlichung als finaler und einziger Schritt der Operationalisierung. Agieren die Führungskräfte jetzt anders, verkörpern und vermitteln sie die im Leitbild verankerten Werte besser als vorher? Haben sich Prioritäten verschoben? Was erleben die Stakeholder neu oder anders hinsichtlich der Unternehmenswerte? Ist eine bessere Unternehmenskultur, eine bessere Qualitätskultur entstanden? Woran kann man das erkennen? Welche Maßnahmen haben dazu geführt?

Von wegen soft

Für viele Führungskräfte und Qualitätsmanager ist Kultur weitgehend ein blinder Fleck. Im Rahmen von Ausbildung, Studium und Weiterbildung lernen die Allermeisten fachliche Grundlagen, Organisationslehre und auch Führungslehre. Selten ist zum Thema Unternehmenskultur dabei aber mehr zu hören, als dass es sie gibt, dass sie wichtig ist und dass man sich als Führungskraft darum kümmern muss. Aber wie denn, bitteschön, ich würd ja gerne? Den meisten von uns fehlt es an Methoden, das Thema wirkungsvoll zu adressieren. Deshalb heißen Kulturthemen in Unternehmen auch weiche Themen, die Fähigkeiten, die wir dafür suchen, soft skills. Ich mag die Begriffe weich und soft in diesem Kontext nicht, sie vernebeln, dass Kulturarbeit in Unternehmen für den Erfolg genauso wichtig, also hart sind, wie die als hart akzeptierten Themen, die erforderlichen Kompetenzen genauso greifbar sind, wie andere. Die, die im Rahmen ihrer Ausbildung gelernt haben, wie man menschliches Verhalten verstehen, lenken und verändern kann, z.B. Pädagogen, Psychologen oder Sozialwissenschaftler, sind je nach Branche eher selten in Führungspositionen oder werden durch anders tickende Führungskräfte in ihrer Wirkung als Kulturschaffende eingeschränkt.

Für das Teilthema Qualitätskultur kommt erschwerend hinzu, dass es die das Qualitätsmanagement über Jahrzehnte prägenden Regelwerke nicht oder unzureichend adressiert hat. ISO 9004 verwendet den Begriff Kultur mehrmals, meistens als zu berücksichtigender Einflussfaktor, einmal nur unter dem Aspekt des Gestaltens der Kultur: „Verbesserung, Innovation und Lernen können angewendet werden auf […] menschliche Aspekte und Kultur“. Unter der Überschrift Qualitätspolitik (welch irreleitende Übersetzung von quality policy) ist meistens eine Art qualitätsbezogenes Teilleitbild entstanden, mit Aussagen über Kundenorientierung, Verbesserungs- und Fehlerkultur. Oft ist es beim Papier geblieben, die Umsetzung geriet eher schwach, s.o.

Handlungsfelder für die aktive Kulturgestaltung

Aus meiner praktischen Erfahrung heraus sind zwei Handlungsfelder und ein zentraler Treiber wesentlich, wenn es darum geht, Unternehmenskultur und als Teil davon Qualitätskultur aktiv zu gestalten. Das sind die Operationalisierung handlungsleitender Werte und die Ausgestaltung von Beziehungen. Zentraler Treiber für Kultur ist das Führungsverhalten. Nicht dass Mitarbeiter kulturloser als ihre Führungskräfte wären, letztere sind allerdings aufgrund ihrer Gestaltungsmacht für Kultur maßgeblich. Und leider funktioniert eine Wirkrichtung ganz hervorragend, nämlich die kulturzerstörerische Wirkung von hochrangigen Führungskräften. Gelingt es nicht, diese destruktiven Führungskräfte hinsichtlich ihrer Wirkung auf die Kultur zu neutralisieren, ist der Spielraum für die Verbesserung einer Unternehmens- oder Qualitätskultur ohnehin enorm limitiert.

Zunächst geht es also um die Operationalisierung handlungsleitender Werte. Ein inhaltlich valides, organisationsindividuelles, von Führungskräften und Mitarbeitern getragenes Leitbild ist nur der Ausgangspunkt, nicht der Zielzustand der Kulturarbeit. Nun ist durch konkrete Maßnahmen zu unterlegen, dass die fixierten Werte wirklich handlungsleitend in der Organisation sind. Jemand in der Leitung muss das über lange Zeit (eigentlich immer) aktiv hinterfragen und beobachten und ein Zuwiderhandeln insbesondere der Führungskräfte sofort unterbinden und ggf. sanktionieren sowie kulturförderliches Handeln anerkennen und verstärken.

Des Weiteren gilt es, die Beziehungen innerhalb und zwischen den wichtigen Interessengruppen zueinander positiv auszugestalten. Dazu zählen die Beziehungen der Führungskräfte zueinander, die der Führungskräfte und Mitarbeiter, die zu den Kunden und auch die zu Partnern und Lieferanten. Darüber hinaus mag es weitere relevante Gruppen geben. Beziehungen entlang der vereinbarten Werte auszugestalten und de facto zu verbessern ist natürlich nicht einfach und nicht rezepthaft zu adressieren. Ein erster Schritt ist es zu verstehen, wie die Beziehungen zurzeit ausgestaltet und geprägt sind und welche Effekte das erzielt. Was ist der erstrebenswerte Zustand und wie kommen wir dort hin?

Was können wir Qualitätsmanager tun?

  • Anerkennen, dass Kulturarbeit in der Organisation kein Larifarithema ist, hart, nicht weich, hochrelevant für die Qualitätsfähigkeit der Organisation, nicht die Kür, sondern Teil der Pflicht.
  • Diejenigen achten, unterstützen und stärken, die dieses Thema aufgrund ihrer Qualifikation und ihres Talents kompetent adressieren können.
  • Dabei helfen, Kulturproblematiken, diesbezügliche Stärken und Schwächen sowie resultierende Potenziale zu identifizieren, zu analysieren, zu benennen und bei den Entscheidern zu „vermarkten“, also die Erkenntnis der Dringlichkeit des Handelns herbeizuführen.
  • Lernen und uns aneignen, wie man die Kulturthemen der Organisation methodisch fundiert adressieren und entwickeln kann.
  • In unserem direkten Verantwortungsbereich Verstöße gegen unsere (vereinbarten) Werte nicht dulden und sanktionieren. Sich von destruktiven, kulturlosen Rabauken trennen oder zumindest deren Macht und Wirkung massiv einschränken.

Viel Spaß und Erfolg bei Ihrer Arbeit als Kulturschaffende.

Glück auf!

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